Kritische Wissenschaft, Emanzipation und die Entwicklung der Hochschulen

Ein Bericht über unseren Kongress, erschienen in spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, Heft 144

Vom 1. bis 3. Juli 2005 fand an der Uni in Frankfurt am Main ein Kongress zu Reproduktionsbedingungen und Perspektiven kritischer Theorie mit dem Titel "Kritische Wissenschaft, Emanzipation und Entwicklung der Hochschulen" statt. Veranstaltet von der AG Gegenhegemonie an der Uni Frankfurt, dem BdWi, der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung und den ASten der Unis Frankfurt/Main und Gießen, war der Kongress mit ca. 200 TeilnehmerInnen sehr gut besucht.

Auf dem Programm stand nicht nur eine kritische Betrachtung der Auswirkungen aktueller Hochschulreformen und Wissenschaftspolitik, sondern die Analyse des Verhältnisses von (kritischer) Wissenschaft und ihrer Produktionsorte und -bedingungen. So wurde auch folgerichtig in den Einstiegsvorträgen von Heinz Steinert, Richard E. Lee und Alex Demirovic immer wieder eine Einordnung der aktuellen Entwicklungen in die Geschichte (kritischer) Wissensproduktion versucht und die Dynamik der 1968er und ihrer Bewegungen als spezielle historische Situation beschrieben, in der die Entwicklung des Kapitalismus das Eindringen kritischer WissenschaftlerInnen in das universitäre Establishment begünstigte oder (im Sinne einer nachholenden Modernisierung) gar benötigte. Verglichen mit ihrer Situation vor den 1960er Jahren eine Ausnahme, die sich - so der Eindruck - auch zur Zeit ihrem Ende zuneigt. Dieses Ende der Theoriebildung in staatlicher Alimentierung wurde - neben der Feststellung, dass sie für die betroffenen Personen teilweise große materielle Sorgen mit sich bringt - durchaus nicht nur als negativ dargestellt. Statt dessen könnte diese Situation auch als Chance für problemnähere und herrschaftskritischere Wissenschaft und als natürlicher Zustand kritischer Theorie betrachtet werden, wie, so Steinert, schon der Fakt gezeigt hätte, dass während der französischen Revolution die Hochschulen geschlossen wurden.

Eine detailliertere Bilanz, welche wechselseitigen Einflüsse kritische Theorie und Akademisierung aufeinander ausüben, wurde am Beispiel der "Institutionalisierung von Frauenforschung und außerinstitutionellen Perspektiven feministischer Forschung" versucht - leider am späten Samstagvormittag auch das erste Podium des Kongresses, auf dem überhaupt Frauen vertreten waren. Die spontane Umbesetzung (infolge von Krankheit der angekündigten Referentin) sorgte für einen der Kongresshöhepunkte, als Silvia Kontos, Sünne Andresen und Isabell Lorey über Fehler der Frauenbewegung, Frauenpolitik zwischen Lippenbekenntnis und sozialpolitischer Flankierung, die kapitalistische Verfasstheit von dekonstruierten Subjekten und Folgen der Institutionalisierung von Gender Studies diskutierten und in kritischem Bezug aufeinander Perspektiven für die Weiterentwicklung feministischer Forschung jenseits bekannter Gräben entwickelten.

Nach interessanten Erfahrungsaustauschen mit ReferentInnen aus Großbritannien, den Niederlanden und Frankreich wurden in Arbeitsgruppen die materiellen Reproduktionsbedingungen von kritischer Wissenschaft an Hochschulen, in der Kunst, im Studium und an "alternativen" Orten diskutiert. In der zuletzt genannten AG referierte Thomas Seibert sehr konkrete Erfahrungen mit den Bedingungen, Voraussetzungen und spezifischen Problemen von Theoriebildung außerhalb der Hochschulen Während von ihm die Gefahr des Sektierens - d.h. die Abkoppelung theoretischer Diskurse vom institutionalisierten Mainstream - und des Nichtverstandenwerdens durch die etablierten WissenschaftlerInnen angesprochen wurde, wagte Uli Brand vom wissenschaftlichen attac-Beirat ein paar Thesen zum Verhältnis des oftmals im Duktus des "überlegenen" erscheinenden universitären Wissens zum Gemisch aus "wissenschaftlichem" und "Erfahrungs"-Wissen der Bewegungen. Der TeilnehmerInnenzuspruch und die angeregten, kontroversen Diskussionen in dieser AG lassen vermuten, dass es zu diesem Thema in nächster Zeit noch weitere Auseinandersetzungen geben wird.

In der Abschlussrunde, als auf dem Podium u.a. Christina Kaindl, Bernd Kaßebaum, Joachim Hirsch, Wolfgang Nitsch und Alex Demirovic über Ausblicke und konkretere Fragen im Zusammenspiel zwischen Institutionen und kritischem Denken diskutierten, wurde vom Publikum angemahnt, dass über "Emanzipation" - obwohl im Titel der Veranstaltung prominent vertreten - kaum gesprochen wurde und auch Wissenschaftskritik durch die Attribuierung mit "kritisch" vor jeder Wissenschaft vermieden wurde. Neben diesen Schwächen und einem etwas unklaren, unreflektierten Idealbild "des Intellektuellen", was an mehreren Stellen als Perspektive kritischer Theoriebildung angeführt wurde, ist dieser Kongress mit seinen Themen und seinem trotz der teilweise düsteren Analyseergebnisse zumeist angenehm zuversichtlichen Diskussionsklima ein gelungener Beitrag zur Zeitdiagnose des Verhältnisses von (kritischer) Wissenschaft, Emanzipation und Hochschulen.

Auf der Kongress-Homepage www.kongress-kritische-wissenschaft.de wird lt. Angaben der VeranstalterInnen über die Publikation der Kongressbeiträge berichtet. Allen Interessierten sei daher ein regelmäßiger Blick auf diese Seite empfohlen.

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